Montag, 27. März 2017

Ungleichheit ist kein Naturereignis


SOZIALE SPALTUNG - Die Politik muss entgegenwirken


Dierk Hirschel leitet den Bereich Wirtschaftspolitik beim ver.di- Bundesvorstand

Deutschland ist ein ungleiches Land. Seit einem Vierteljahrhundert öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter. Die soziale Gerechtigkeit ist unter die Räder gekommen. Während Winterkorn, Ackermann & Co millionenschwere leistungslose Einkommen kassieren, tragen Krankenschwestern, Altenpfleger und Postboten große Verantwortung für wenig Geld. Für das Jahresgehalt eines DAX-Vorstands muss ein einfacher Beschäftigter im Schnitt 57 Jahre arbeiten.

Das große Einkommensgefälle ist ein Spiegelbild gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Die erste Runde der Einkommensverteilung - die sogenannte Primärverteilung - ging in den letzten Jahrzehnten fast immer an die Unternehmer und Vermögensbesitzer. Während Löhne und Gehälter nicht vom Fleck kamen, setzten Gewinne und Vermögenseinkommen Fett an. Die Lohnquote - der Anteil der Löhne am Volkseinkommen - sank, und die Bruttoeinkommen verteilten sich immer ungleicher. Diese eklatante Schieflage konnte in der zweiten Verteilungsrunde durch Steuern und Transfers nicht mehr angemessen korrigiert werden. Folglich nahm die Ungleichheit nach Umverteilung zu.

Die Nettoeinkommen der reichsten zehn Prozent stiegen zwischen 1991 und 2014 preisbereinigt um 27 Prozent. Gleichzeitig sanken die Einkommen des ärmsten Zehntels um acht Prozent. Die Mitte der Gesellschaft musste ebenfalls Einkommensverluste hinnehmen. Die Einkommen der unteren 40 Prozent schrumpften. Zwangsläufig konzentrierte sich immer mehr Einkommen in wenigen Händen. Die reichsten zehn Prozent besitzen heute fast ein Viertel des gesamten Einkommenskuchens. Das Kuchenstück der ärmsten 20 Prozent umfasst hingegen nicht einmal ein Zehntel.

Noch dramatischer ist die Lage bei den Vermögen. Aktien, Anleihen und Immobilien sind ungleicher verteilt als Einkommen. Das reichste Prozent besitzt heute ein Drittel des gesamten privaten Nettovermögens. Das reichste Zehntel verfügt über zwei Drittel. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung geht hingegen fast leer aus.

Für das Jahresgehalt eines DAX-Vorstands muss ein einfacher Beschäftigter im Schnitt 57 Jahre arbeiten


In der neoliberalen Märchenwelt ist die wachsende Ungleichheit ein zwangsläufiges Ergebnis des wirtschaftlichen Wandels. Der technische Fortschritt und die Globalisierung führen angeblich zu einer steigenden Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften. Folglich klettern deren Einkommen. Gleichzeitig finden gering Qualifizierte kaum noch Arbeit, weswegen ihre Löhne schrumpfen. Diese vermeintlich einleuchtende Erklärung besteht aber keinen Praxistest. Während in allen Industrieländern der Sturm der Globalisierung und Digitalisierung wütet, entwickelt sich die Verteilung unterschiedlich.

Unbestritten hat die erweiterte internationale Arbeitsteilung die Verhandlungsmacht der Kapitaleigentümer und des Managements gestärkt. Die Herrschaft der Finanzmärkte verschärfte die Umverteilung von Unten nach Oben. Unbestritten ist auch der massive Umbau der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter. Die Auswirkungen dieses ökonomischen Strukturwandels auf die Einkommens- und Vermögensverteilung sind aber immer abhängig von seiner politischen Gestaltung.

Politik macht den Unterschied. Im Mittelpunkt steht dabei der Arbeitsmarkt. Die wachsende Ungleichheit geht im Kern auf die politische Entwertung und Entgrenzung der Arbeit zurück. Armutslöhne und prekäre Beschäftigung schwächten die Gewerkschaften. Die Tarifflucht vieler Unternehmen tat ein Übriges. Heute verhandeln ver.di, IG Metall und Co. nur noch für drei von fünf Beschäftigten. Und der neoliberale Ab- und Umbau des Sozialstaates - Leistungskürzungen bei Arbeitslosigkeit, Rente und Gesundheit sowie eine umfangreiche steuerpolitische Reichtumspflege - ist dafür verantwortlich, dass die stark wachsende Ungleichheit der Markteinkommen nicht mehr verteilungspolitisch gebremst werden konnte. Damit muss Schluss sein.

Das beste Rezept gegen Ungleichheit sind starke Gewerkschaften und ein gutes Regelwerk auf dem Arbeitsmarkt. Deswegen muss zunächst das Tarifsystem gestärkt, prekäre durch gute Arbeit ersetzt, der Mindestlohn erhöht, die Hartz-Gesetze müssen korrigiert und die Mitbestimmung muss ausgebaut werden. Darüber hinaus muss unser Sozialstaat wieder für mehr Steuergerechtigkeit sorgen. Große Einkommen und Vermögen müssen stärker besteuert werden. Dafür brauchen wir einen höheren Spitzensteuersatz, eine Vermögenssteuer sowie eine höhere Besteuerung großer Erbschaften und Unternehmensgewinne. Die kommenden Bundestagswahlen werden darüber entscheiden, ob sich die soziale Spaltung fortsetzt. Mehr soziale Gerechtigkeit erfordert mehr gewerkschaftliche und politische Gegenmacht.

Aus ver.di publik 1-2017


1 Kommentar:

  1. Die Lösung der Sozialen Frage

    Wie alles Geniale ist die einzige Lösung für absolute soziale Gerechtigkeit, die allgemeinen Wohlstand und den Weltfrieden mit einschließt, einfach. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, eine "hochmoralische Gesellschaft" auf einem utopischen Altruismus aufbauen zu wollen, sondern wir müssen mit dem rechnen, worauf wir uns verlassen können: der Egoismus. Jeder Mensch kann überhaupt nur wissen, was das Beste für ihn selber ist, nicht aber, was "das Beste" für andere ist. Und sobald sich jemand dazu erdreistet, greift er bereits in die Freiheitsrechte der anderen ein! Es ist hinreichend, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass beim freien Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage das natürliche Streben nach Eigennutz auch gleichzeitig das Beste für alle bedeutet. Dafür muss die "Goldene Regel"...

    "Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst."

    ...lediglich für die beiden grundlegenden Interaktionen zwischen allen Menschen gelten:

    1. Der Tausch
    2. Der Verleih

    Wie sieht es damit in der (noch) bestehenden Wirklichkeit aus? Beim Tausch Ware gegen Geld ist zu beobachten, dass der Verkäufer (Warenbesitzer) sich stets wie ein unterwürfiger Diener gegenüber dem Käufer (Geldbesitzer) verhalten muss, damit der Tausch überhaupt zustande kommt. Das herkömmliche Geld ist aufgrund seiner Dauerhaftigkeit und des Vorteiles der Liquidität den Waren überlegen, sodass von einem gerechten Tausch keine Rede sein kann. Der Unterschied zwischen Geld und Ware wird auch beim Verleih deutlich. Wird ein Zentner Kartoffeln verliehen und nach einem Jahr mit der gleichen Menge Kartoffeln aus neuer Ernte zurückgezahlt, hatte der Kreditnehmer den Vorteil, dass er nicht hungern musste, und für den Kreditgeber ist vorteilhaft, dass seine zuvor überschüssigen Kartoffeln in der Zwischenzeit nicht verfault sind. Wird aber Geld verliehen, ist der Kreditgeber im Vorteil und kann vom Kreditnehmer einen Zins verlangen. Der Zins ist der Ausdruck der Überlegenheit des herkömmlichen Geldes gegenüber den Waren. Das Zwischentauschmittel Geld, das den Warenaustausch erleichtern soll, verhindert somit den gerechten Tausch ebenso wie den gerechten Verleih.

    Daraus können wir erst einmal folgern, dass bei Verwendung eines fehlerhaften Geldes jeder Apell an die "Moral" ebenso nutzlos ist wie der "Sozialstaat". Denn solange die grundlegendsten Interaktionen zwischen allen Menschen einer systemischen Ungerechtigkeit unterliegen, darf man wohl nicht darauf hoffen, durch eine wie auch immer geartete Veränderung in der Gesinnung des Menschen eine gerechte und friedliche Gesellschaft aufbauen zu können. Das Geld abschaffen? So dumm waren nicht einmal die von jeder Moral befreiten Kommunisten. Selbstverständlich kann das Geld nicht abgeschafft werden, sondern es ist die Überlegenheit des Geldes gegenüber den Waren zu neutralisieren.

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2017/03/entwicklung-der-moral.html

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