Freitag, 9. September 2016

Warten, bis der Arzt kommt (1)


Ein interessanter Artikel aus der ver.di-Zeitschrift PUBLIK über die Zustände im Gesundheitswesen der USA: Warten, bis der Arzt kommt



In den Morgenstunden warten Patientinnen und Patienten auch im Regen darauf, dass um sechs Uhr die Türen zur Schule und Behandlung geöffnet werden (ganz links)
Während der Klinik-Einsätze der Organisation Remote Area Medical (RAM) wird an bis zu 100 Behandlungsstühlen zeitgleich gearbeitet; Zähne gefüllt, gezogen und gereinigt (mitte)
Robert Brown (rechts) verlor bei einem Arbeitsunfall ein Augenlicht. Seinen Beruf kann er deshalb nicht mehr ausüben. Der Schaden an seinem Auge ist operabel, doch die Behandlung kann er nicht finanzieren
FOTOS: JELCA KOLLATSCH


Wer in Amerika nicht genug Geld hat, kann sich meistens keine ärztliche Behandlung leisten. Die Organisation RAM bietet armen Menschen kostenlose Behandlungen an, aber der Weg zu den mobilen Einrichtungen ist oft weit, die Wartezeiten sind lang. Eine Fotoreportage aus einem Land, in dem Armut krank macht

Von Jelca Kollatsch

Bei Temperaturen um die Null Grad steht Robert Brown in Henderson/Tennessee in einer langen Schlange Wartender. Am Vormittag des Vortages ist er angekommen und damit die Nummer 12 in der Reihe von etwa 500 Menschen. Eingemummt in wärmende Decken trotzt er gemeinsam mit den anderen der Kälte. Sie verbringen das lange Warten über Nacht in ihren Autos, diejenigen, die kein Auto haben, in Zelten. Sie lesen, essen, schlafen oder erzählen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten.

Sie alle warten auf medizinische Hilfe. Robert Brown hat Zahnschmerzen, und er braucht eine neue Brille. Mit ihm stehen auch Tim Cope und seine Verlobte Samantha an. Sie konnten erst am Abend nach der Arbeit aus dem 450 Kilometer entfernten Jamestown in Ost-Tennessee losfahren, ihre vier Kinder haben sie bei Verwandten abgegeben. Sie sind erst in der Nacht angekommen und hoffen, noch an die Reihe zu kommen. Tim hat sich kürzlich einen kaputten Zahn mit Sekundenkleber gefüllt und einen anderen selbst gezogen. Der Schmerz war einfach nicht mehr auszuhalten. Auf dem Parkplatz der Chester County Junior High School in Henderson, im Westen Tennessees, hofft er jetzt auf eine richtige Zahnbehandlung.

Manche kennen den Ablauf, sie kommen nicht zum ersten Mal. Pünktlich um sechs öffnet sich die Tür zur 786. mobilen kostenfreien Klinik in den USA von "Remote Area Medical", RAM. Aus dem Eingang tritt Stan Brock, der Leiter der Non-profit-Organisation, die die Klinik betreibt. Er begrüßt die Wartenden und ruft sie der Reihe nach auf.

26 Tage Fußmarsch


Mitte der 1980er Jahre gründete der Brite Brock die Organisation RAM, um medizinische Versorgung in entlegene Regionen der Welt zu bringen. Auslöser war ein schwerer Arbeitsunfall, den er als junger Cowboy in British Guinea überlebte. Der nächste Arzt war damals 26 Tage Fußmarsch entfernt.

Als Reaktion auf die sichtbare Not versorgten Ehrenamtliche der Nichtregierungsorganisation Anfang der neunziger Jahre erstmals Menschen auch in den USA. Heute finden fast 70 Prozent der Einsätze in den USA statt.

Für dieses Wochenende hat Brock die Junior High School mit seinem Team in eine provisorische Klinik verwandelt. 272 Ehrenamtliche bieten all jenen medizinische Behandlungen an, die sich einen Arztbesuch in den USA nicht leisten können. Drei Wochen zuvor waren sie in Grundy, Virginia, mitten in Appalachia. In der 530.000 Quadratkilometer großen Region im Osten der USA ist die Not mit am größten. Geschätzte 180.000 Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen sind dort noch immer von regulärer Gesundheitsversorgung ausgeschlossen, deshalb hat RAM ein Hilfsprogramm speziell für diese Region gegründet.

Fortsetzung folgt...


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